TEXT 39
eṣā te ’bhihitā sāṅkhye
buddhir yoge tv imāṁ śṛṇu
buddhyā yukto yayā pārtha
karma-bandhaṁ prahāsyasi
eṣā — all dies; te — dir; abhihitā — beschrieben; sāṅkhye — durch analytisches Studium; buddhiḥ — Intelligenz; yoge — in Arbeit ohne fruchttragendes Ergebnis; tu — aber; imām — dies; śṛṇu — höre einfach; buddhyā — durch Intelligenz; yuktaḥ — in Einklang gebracht; yayā — wodurch; pārtha — o Sohn Pṛthās; karma-bandham — Fessel der Reaktion; prahāsyasi — du kannst befreit werden von.
Bisher habe Ich dir dieses Wissen durch ein analytisches Studium erklärt. Höre nun, wie Ich es dir im Sinne von Tätigkeit ohne fruchttragendes Ergebnis erkläre. O Sohn Pṛthās, wenn du mit solchem Wissen handelst, kannst du dich von der Fessel der Tätigkeiten befreien.
ERLÄUTERUNG: Nach dem vedischen Wörterbuch Nirukti bedeutet saṅkhyā „das, was etwas in allen Einzelheiten beschreibt“, und das Wort sāṅkhya bezieht sich auf jene Philosophie, die die wahre Natur der Seele beschreibt. Und zu yoga gehört auch die Beherrschung der Sinne. Arjunas Entschluß, nicht zu kämpfen, hatte seine Ursache in dem Verlangen nach Sinnenbefriedigung. Seine vornehmste Pflicht vergessend, wollte er aufhören zu kämpfen, da er glaubte, glücklicher zu sein, wenn er seine Familienangehörigen und Verwandten nicht tötete, als wenn er sich des Königreiches erfreute, indem er seine Vettern und Brüder, die Söhne Dhṛtarāṣṭras, tötete. In beiden Fällen war persönliche Befriedigung der Grundgedanke. Seine Vorstellung, glücklich zu sein, indem er seine Verwandten in der Schlacht tötete bzw. verschonte, beruhte auf selbstischen Motiven, wofür er sogar bereit war, seine Weisheit und seine Pflicht zu opfern. Kṛṣṇa wollte daher Arjuna erklären, daß er die Seele selbst nicht töten würde, wenn er den Körper seines Großvaters tötete, und Er machte ihm klar, daß alle individuellen Personen, einschließlich des Herrn Selbst, ewige Individuen sind. Sie waren Individuen in der Vergangenheit, sie sind Individuen in der Gegenwart, und sie werden auch in der Zukunft Individuen bleiben, denn wir alle sind ewig individuelle Seelen und wechseln nur unser körperliches Gewand auf verschiedene Weise. Selbst nachdem wir von den Fesseln des materiellen Gewandes befreit sind, behalten wir unsere Individualität. Śrī Kṛṣṇa hat in einem analytischen Studium das Wesen der Seele und des Körpers bereits sehr ausführlich erklärt. Und dieses Wissen, das die Seele und den Körper von verschiedenen Gesichtspunkten aus beschreibt, ist hier als sāṅkhya bezeichnet worden, und zwar im Sinne der Definition im Nirukti-Wörterbuch. Dieser sāṅkhya hat mit der sāṅkhya-Philosophie des Atheisten Kapila nichts zu tun. Lange bevor der Betrüger Kapila seine sāṅkhya-Philosophie aufstellte, war die sāṅkhya-Philosophie, wie sie im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben wird, von dem wirklichen Kapila, einer Inkarnation Śrī Kṛṣṇas, Seiner Mutter Devahūti erklärt worden. Es wird von Ihm eindeutig erklärt, daß der puruṣa, der Höchste Herr, aktiv ist und daß Er die materielle Welt erschafft, indem Er über die prakṛti blickt. Diese Tatsache wird von den Veden und der Gītā anerkannt. Die Beschreibung in den Veden besagt, daß der Herr über die materielle Natur (prakṛti) blickte und sie mit atomischen individuellen Seelen befruchtete. Alle diese Individuen gehen in der materiellen Welt Tätigkeiten der Sinnenbefriedigung nach, und unter dem Zauber der materiellen Energie halten sie sich für Genießer. Diese Geisteshaltung findet ihren Höhepunkt im Wunsch des Lebewesens nach Befreiung, dem Wunsch, mit dem Höchsten Herrn eins zu werden. Das ist die letzte Falle māyās, der Illusion der Sinnenbefriedigung, und nur nach vielen, vielen Leben solcher sinnenbefriedigender Tätigkeiten geschieht es, daß sich eine große Seele Vāsudeva, Kṛṣṇa, ergibt und so an das Ende ihrer Suche nach der endgültigen Wahrheit gelangt.
Indem Arjuna sich Kṛṣṇa ergab, hat er Ihn bereits als spirituellen Meister angenommen: śiṣyas te ’haṁ śādhi māṁ tvāṁ prapannam. In der Folge wird Kṛṣṇa ihn nun über den Vorgang des Handelns in buddhi-yoga, das heißt über karma-yoga, belehren oder, mit anderen Worten, über die Praxis des hingebungsvollen Dienstes, bei der man ausschließlich für die Befriedigung der Sinne des Herrn tätig ist. Wie im zehnten Vers des Zehnten Kapitels erklärt wird, bedeutet buddhi- yoga die direkte Verbindung mit dem Herrn, der Sich als Paramātmā im Herzen eines jeden befindet. Aber diese Verbindung kommt nicht ohne hingebungsvollen Dienst zustande. Wer daher im hingebungsvollen, transzendentalen liebenden Dienst des Herrn, mit anderen Worten im Kṛṣṇa-Bewußtsein, verankert ist, erreicht diese Stufe des buddhi-yoga durch die besondere Gnade des Herrn. Der Herr sagt deshalb, daß Er nur diejenigen mit dem reinen Wissen der liebenden Hingabe beschenkt, die sich immer aus transzendentaler Liebe im hingebungsvollen Dienst betätigen. Auf diese Weise kann der Gottgeweihte Ihn sehr leicht im ewig-glückseligen Königreich Gottes erreichen.
Der in diesem Vers erwähnte buddhi-yoga bezieht sich also auf den hingebungsvollen Dienst des Herrn, und was das hier erwähnte Wort sāṅkhya betrifft, so hat es nichts mit dem atheistischen sāṅkhya- yoga zu tun, den der Betrüger Kapila verkündete. Man sollte daher den sāṅkhya-yoga, der hier erwähnt wird, auf keinen Fall mit dem atheistischen sāṅkhya verwechseln. Dazu kommt, daß diese Philosophie in der damaligen Zeit gar keinen Einfluß hatte, und Śrī Kṛṣṇa hätte Sich nicht die Mühe gemacht, solch gottlose philosophische Spekulationen zu erwähnen. Die wirkliche sāṅkhya-Philosophie wird von Śrī Kapila im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, aber selbst dieser sāṅkhya hat nichts mit den hier behandelten Themen zu tun. Hier ist mit sāṅkhya die analytische Beschreibung des Körpers und der Seele gemeint. Śrī Kṛṣṇa gab eine analytische Beschreibung der Seele, nur um Arjuna zur Stufe des buddhi-yoga, oder bhakti-yoga, hinzuführen. Deshalb ist Śrī Kṛṣṇas sāṅkhya und Śrī Kapilas sāṅkhya, wie er im Bhāgavatam beschrieben wird, ein und dasselbe. Beides ist bhakti-yoga. Aus diesem Grunde sagte Śrī Kṛṣṇa, daß nur unintelligente Menschen zwischen sāṅkhya-yoga und bhakti-yoga unterscheiden (sāṅkhya-yogau pṛthag bālāḥ pravadanti na paṇḍitāḥ).
Natürlich hat atheistischer sāṅkhya-yoga nichts mit bhakti-yoga zu tun, aber dennoch behaupten solche unintelligenten Menschen, daß sich die Bhagavad-gītā auf diesen atheistischen sāṅkhya-yoga beziehe.
Buddhi-yoga bedeutet also, im Kṛṣṇa-Bewußtsein, in der Glückseligkeit und dem Wissen des hingebungsvollen Dienstes, tätig zu sein. Wer ausschließlich für die Zufriedenstellung des Herrn tätig ist, ganz gleich wie schwierig es sein mag, arbeitet nach den Prinzipien des buddhi- yoga und ist immer in transzendentale Glückseligkeit eingetaucht. Durch solche transzendentale Betätigung entwickelt man, dank der Gnade des Herrn, automatisch alle transzendentale Erkenntnis und so ist die erlangte Befreiung in sich selbst vollkommen, ohne daß man sich gesondert darum bemühen muß, Wissen zu erwerben. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Arbeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein und Arbeit für fruchttragende Ergebnisse, das heißt für Sinnenbefriedigung in Form von familiärem und materiellem Glück. Buddhi-yoga bezieht sich also auf die transzendentale Eigenschaft der Arbeit, die wir ausführen.