Erster Vers
vāco vegaṁ manasaḥ krodha-vegaṁ
jihvā-vegam udaropastha-vegam
etān vegān yo viṣaheta dhīraḥ
sarvām apīmāṁ pṛthivīṁ sa śiṣyāt
vācaḥ – der Sprache; vegam – Drang; manasaḥ – des Geistes; krodha – des Zornes; vegam – Drang; jihvā – der Zunge; vegam – Drang; udara-upastha – des Magens und der Geschlechtsteile; vegam – Drang; etān – diese; vegān – Dränge; yaḥ – wer immer; viṣaheta – beherrschen kann; dhīraḥ – klar denkend; sarvām – überall; api – gewiß; imām – diese; pṛthivīm – Welt; saḥ – diese Persönlichkeit; śiṣyāt – kann Schüler annehmen.
Wer einen klaren Verstand besitzt und den Drang der Sprache, die Forderungen des Geistes, die Angriffe des Zornes und den Drang der Zunge, des Magens und der Geschlechtsteile zu beherrschen vermag, ist geeignet, auf der ganzen Welt Schüler anzunehmen.
ERLÄUTERUNG: Im Śrīmad-Bhāgavatam (6.1.9–10) stellt Parīkṣit Mahārāja dem Śukadeva Gosvāmī eine Reihe intelligenter Fragen. Eine dieser Fragen lautet: „Warum tun Menschen Buße, wenn sie ihre Sinne nicht beherrschen können?“ Ein Dieb mag beispielsweise sehr wohl wissen, daß man ihn für seinen Diebstahl früher oder später verhaften wird, und er mag vielleicht sogar sehen, wie die Polizei einen anderen Dieb abführt, aber trotzdem stiehlt er weiter. Erfahrungen sammelt man durch Hören und Sehen. Ein weniger intelligenter Mensch sammelt Erfahrungen durch Sehen, und jemand, der intelligenter ist, sammelt Erfahrungen durch Hören. Wenn ein intelligenter Mensch aus den Gesetzbüchern, śāstras oder Schriften hört, daß Stehlen nicht gut ist, und hört, daß ein Dieb bestraft wird, wenn man ihn festnimmt, begeht er keinen Diebstahl. Ein weniger intelligenter Mensch muß zunächst einmal wegen Diebstahls verhaftet und bestraft werden, um zu lernen, mit dem Stehlen aufzuhören. Ein Halunke oder Narr aber mag sowohl die Erfahrung des Hörens als auch die des Sehens haben, und er mag sogar bestraft werden; trotzdem stiehlt er weiter. Selbst wenn ein solcher Mensch für seine Handlungen büßt und von der Regierung bestraft wird, wird er sogleich nach der Entlassung aus dem Gefängnis erneut einen Diebstahl begehen. Wenn die Bestrafung im Gefängnis als Buße gilt, welchen Nutzen hat dann solche Buße? Parīkṣit Mahārāja fragte also:
dṛṣṭa-śrutābhyāṁ yat pāpaṁ
jānann apy ātmano ’hitam
karoti bhūyo vivaśaḥ
prāyaścittam atho katham
kvacin nivartate ’bhadrāt
kvacic carati tat punaḥ
prāyaścittam atho ’pārthaṁ
manye kuñjara-śaucavat
Er verglich die Buße mit dem Bad eines Elefanten. Der Elefant mag im Fluß ein gründliches Bad nehmen, doch sobald er ans Ufer kommt, sprüht er sich wieder mit Staub ein. Welchen Wert hat also sein Bad? Ähnlich verhält es sich mit vielen Menschen, die sich darin üben, ein spirituelles Leben zu führen. Sie chanten den Hare Kṛṣṇa mahā-mantra und tun zur gleichen Zeit viele verbotene Dinge in dem Glauben, ihr Chanten werde ihre Vergehen aufheben. Von den zehn Vergehen, die man beim Chanten der heiligen Namen des Herrn begehen kann, nennt man dieses Vergehen nāmno balād yasya hi pāpa-buddhiḥ oder das Begehen sündhafter Handlungen im Vertrauen auf die Kraft des Chantens des Hare Kṛṣṇa mahā-mantra. Auch gibt es manche Christen, die zur Kirche gehen, um ihre Sünden zu beichten in dem Glauben, das Beichten ihrer Sünden vor einem Priester und das Ausüben bestimmter Bußen werde sie von den Auswirkungen ihrer wöchentlichen Sünden befreien. Sobald der Samstag vorüber ist und der Sonntag kommt, beginnen sie erneut mit ihren sündhaften Handlungen in der Erwartung, ihnen werde am nächsten Samstag vergeben. Diese Art der prāyaścitta oder Buße wird von Parīkṣit Mahārāja, dem intelligentesten König seiner Zeit, verurteilt. Śukadeva Gosvāmī, gleichermaßen intelligent, wie es dem spirituellen Meister Mahārāja Parīkṣits angemessen ist, antwortete dem König und bestätigte, daß seine Feststellung hinsichtlich der Buße richtig sei. Man kann eine sündhafte Handlung nicht durch eine fromme Handlung aufheben. Wirkliche prāyaścitta oder Buße ist daher das Erwecken unseres schlummernden Kṛṣṇa-Bewußtseins.
Zu wahrer Buße gehört wahres Wissen, und hierfür gibt es einen festgelegten Vorgang. Wenn man sich regelmäßig an hygienische Grundregeln hält, wird man nicht krank. Es ist die Pflicht des Menschen, sich nach gewissen Grundsätzen schulen zu lassen, um sein ursprüngliches Wissen wiederzubeleben. Ein solch methodisches Leben nennt man tapasya. Man kann nach und nach zur Stufe wirklichen Wissens oder des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben werden, wenn man ein enthaltsames und eheloses Leben führt (brahmacarya), den Geist beherrscht, die Sinne beherrscht, seinen Besitz aufgibt, indem man ihn verschenkt, offen und wahrhaftig ist, sich sauber hält und sich in yoga-āsanas übt. Wenn man jedoch so glücklich ist, einem reinen Gottgeweihten zu begegnen, läßt man ohne weiteres alle Übungen zur Beherrschung des Geistes durch den mystischen yoga-Vorgang hinter sich, indem man einfach die regulierenden Prinzipien des Kṛṣṇa-Bewußtseins befolgt – das heißt keine unzulässigen geschlechtlichen Beziehungen unterhält, kein Fleisch, kein Fisch und keine Eier ißt, keine Rauschmittel zu sich nimmt und kein Glücksspiel betreibt – und indem man sich unter der Anleitung des echten spirituellen Meisters im Dienst des Höchsten Herrn betätigt. Dieser einfache Vorgang wird von Śrīla Rūpa Gosvāmī empfohlen.
Zunächst muß man sein Sprechvermögen beherrschen. Jeder von uns besitzt die Macht der Sprache; sobald sich uns eine Gelegenheit bietet, beginnen wir zu sprechen. Wenn wir nicht über Kṛṣṇa-Bewußtsein sprechen, sprechen wir über allen möglichen Unsinn. Die Kröte auf dem Feld spricht, indem sie quakt, und ebenso möchte jeder sprechen, der eine Zunge hat – selbst wenn all das, was er zu sagen hat, Unsinn ist. Das Quaken der Kröte lädt jedoch nur die Schlange ein: „Bitte komm her und friß mich.“ Obwohl die Kröte den Tod einlädt, quakt sie trotzdem weiter. Man kann das Gerede materialistischer Menschen und unpersönlicher Māyāvādī-Philosophen mit dem Quaken von Fröschen vergleichen. Sie reden ständig Unsinn und rufen so den Tod herbei, sie zu holen. Die Sprache zu beherrschen bedeutet jedoch nicht, selbstbetrügerisch zu schweigen (der nach außen gerichtete Vorgang des mauna), wie die Māyāvādī-Philosophen annehmen. Schweigen mag für eine gewisse Zeit hilfreich erscheinen, doch letztlich erweist es sich als Fehlschlag. Die Bedeutung der beherrschten Sprache, die Śrīla Rūpa Gosvāmī hier übermittelt, befürwortet den positiven Vorgang der kṛṣṇa-kathā, das heißt den Gebrauch der Sprache zur Lobpreisung des höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa. Die Zunge kann dann den Namen, die Gestalt, die Eigenschaften und Spiele des Herrn lobpreisen. Wer kṛṣṇa-kathā predigt, steht immer außerhalb des Herrschaftsbereiches des Todes. Hierin liegt die Bedeutsamkeit der Beherrschung des Sprechdranges.
Die Ruhelosigkeit oder flackernde Natur des Geistes (manovega) wird beherrscht, wenn man den Geist auf die Lotosfüße Kṛṣṇas zu richten vermag. Im Caitanya-caritāmṛta (Madhya 22.31) heißt es:
kṛṣṇa – sūrya-sama; māyā haya andhakāra
yāhāṅ kṛṣṇa, tāhāṅ nāhi māyāra adhikāra
„Kṛṣṇa ist wie die Sonne und māyā wie die Dunkelheit. Wenn die Sonne scheint, kann es keine Dunkelheit geben. Wenn daher Kṛṣṇa im Geist gegenwärtig ist, besteht keine Möglichkeit, daß der Geist durch den Einfluß māyās erregt wird.“
Die Methode des yogī, alle materiellen Gedanken zu verleugnen, wird nicht helfen. Der Versuch, im Geist ein Vakuum zu schaffen, ist künstlich. Das Vakuum wird nicht von Dauer sein. Wenn man jedoch stets an Kṛṣṇa denkt und darüber nachsinnt, wie man Kṛṣṇa am besten dienen kann, wird der Geist auf natürliche Weise beherrscht.
In ähnlicher Weise kann Zorn beherrscht werden. Wir können Zorn nicht völlig abstellen, doch wenn wir nur mit denen zornig werden, die den Herrn oder die Geweihten des Herrn beleidigen, können wir unseren Zorn im Kṛṣṇa-Bewußtsein beherrschen. Śrī Caitanya Mahāprabhu wurde mit den schurkischen Brüdern Jagāi und Mādhāi zornig, die Nityānanda Prabhu beleidigt und verletzt hatten. In Seinem Śikṣāṣtaka (3) schrieb Śrī Caitanya:
tṛṇād api sunīcena
taror api sahiṣṇunā
„Man sollte demütiger sein als das Gras und duldsamer als ein Baum.“ Es mag sich die Frage stellen, warum der Herr dann zornig wurde. Der entscheidende Punkt ist, daß man bereit sein sollte, alle Beleidigungen der eigenen Person zu dulden, werden jedoch Kṛṣṇa oder Sein reiner Geweihter beleidigt, wird ein echter Gottgeweihter zornig und verhält sich wie Feuer gegenüber dem Übeltäter. Krodha, Zorn, kann man nicht abstellen, doch man kann ihn richtig anwenden. Hanumān war voller Zorn, als er Laṅkā in Brand setzte, und trotzdem wird er als der größte Geweihte Śrī Rāmacandras verehrt. Dies bedeutet, daß er seinen Zorn richtig gebrauchte. Arjuna dient als ein weiteres Beispiel. Er war nicht gewillt zu kämpfen, doch Kṛṣṇa schürte seinen Zorn: „Du mußt kämpfen!“ Ohne Zorn zu kämpfen ist nicht möglich. Zorn wird jedoch beherrscht, wenn er im Dienst des Herrn Anwendung findet.
Was den Drang der Zunge betrifft, so wissen wir alle aus Erfahrung, daß die Zunge wohlschmeckende Speisen kosten möchte. Im Allgemeinen sollten wir der Zunge nicht gestatten, nach ihrer Wahl zu essen, sondern wir sollten sie beherrschen, indem wir prasāda zu uns nehmen. Es ist die Haltung des Gottgeweihten, nur dann zu essen, wenn Kṛṣṇa ihm prasāda gibt. Man sollte prasāda zu geregelten Zeiten zu sich nehmen, und nicht in Restaurants oder Süßwarengeschäften essen, nur um die Launen der Zunge oder des Magens zu befriedigen. Wenn wir uns an den Grundsatz halten, nur prasāda zu uns zu nehmen, können der Drang des Magens und der Zunge beherrscht werden.
Ebenso kann der Drang der Genitalien, der Geschlechtstrieb, beherrscht werden, wenn er nicht unnötig benutzt wird. Die Genitalien sollten verwendet werden, um ein Kṛṣṇa-bewußtes Kind zu zeugen; andernfalls sollte man sie nicht gebrauchen. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein empfiehlt eine Heirat nicht zur Befriedigung der Genitalien, sondern zur Zeugung Kṛṣṇa-bewußter Kinder. Sobald die Kinder ein wenig aufgewachsen sind, werden sie in eine unserer Gurukula-Schulen geschickt, wo man sie dazu erzieht, völlig Kṛṣṇa-bewußte Geweihte zu werden. Viele solche Kṛṣṇa-bewußte Kinder sind nötig, und jemandem, der imstande ist, Kṛṣṇa-bewußte Nachkommen zu zeugen, ist es gestattet, die Genitalien zu benutzen.
Wenn man in den Methoden der Kṛṣṇa-bewußten Beherrschung völlig geübt ist, kann man die Befähigung erwerben, ein echter spiritueller Meister zu sein.
Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Ṭhākura schreibt in seiner Anuvṛtti-Erklärung zum Upadeśāmṛta, daß unsere materielle Identifikation drei Arten des Dranges schafft – den Drang der Sprache, den Drang oder die Forderungen des Geistes und die Forderungen des Körpers. Wenn ein Lebewesen diesen drei Arten des Dranges zum Opfer fällt, wird sein Leben unheilvoll. Jemanden, der sich darin übt, diesen Forderungen oder Drängen zu widerstehen, nennt man tapasvī oder jemand, der sich Entbehrungen auferlegt. Durch solche tapasya kann man sich davor schützen, der materiellen Energie, der äußeren Kraft des Höchsten Persönlichen Gottes, zum Opfer zu fallen.
Wenn wir den Drang der Sprache erwähnen, meinen wir damit unnützes Gerede wie das der unpersönlichen Māyāvādī-Philosophen oder von Menschen, die fruchtbringenden Tätigkeiten nachgehen (man nennt diese technisch karma-kāṇḍa), oder von materialistischen Menschen, die das Leben einfach uneingeschränkt genießen wollen. All ihr Gerede oder ihre Schriften sind praktische Auswirkungen des Sprechdranges. Viele Menschen reden unsinnig daher und schreiben Bände nutzloser Bücher; alles Folgen des Sprechdranges. Um dieser Neigung entgegenzuwirken, müssen wir unser Sprechen auf Kṛṣṇa umlenken. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam (1.5.10–11) wie folgt erklärt:
na yad vacaś citra-padaṁ harer yaśo
jagat-pavitraṁ pragṛṇīta karhicit
tad vāyasaṁ tīrtham uśanti mānasā
na yatra haṁsā niramanty uśik-kṣayāḥ
„Worte, die nicht die Herrlichkeit des Herrn beschreiben, der als Einziger die Atmosphäre des gesamten Universums zu läutern vermag, sind in den Augen heiliger Menschen Pilgerstätten für Krähen. Da die allvollkommenen Menschen Bewohner des transzendentalen Reiches sind, erfahren sie an solchen Stätten keine Freude.“
tad-vāg-visargo janatāgha-viplavo
yasmin prati-ślokam abaddhavaty api
nāmāny anantasya yaśo ’ṅkitāni yat
śṛṇvanti gāyanti gṛṇanti sādhavaḥ
„Auf der anderen Seite ist Literatur, die voller Beschreibungen der transzendentalen Herrlichkeit des Namens, des Ruhms, der Gestalt und der Spiele und so fort des unbegrenzten höchsten Herrn ist, eine andersgeartete Schöpfung voll transzendentaler Worte, die darauf ausgerichtet ist, eine Umwälzung in den gottlosen Leben der Menschen dieser irregeleiteten Zivilisation herbeizuführen. Solch transzendentale Schriften werden, selbst wenn sie nicht ganz einwandfrei verfaßt sind, von geläuterten Menschen, die völlig wahrhaftig sind, gehört, gesungen und angenommen.“
Die Schlußfolgerung lautet, daß wir nur dann von nutzlosem, unsinnigem Gerede Abstand nehmen können, wenn wir über den hingebungsvollen Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott sprechen. Wir sollen uns stets darum bemühen, unsere Macht der Sprache allein für den Zweck der Verwirklichung des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu gebrauchen.
Was die Erregung des flackernden Geistes anbelangt, so ist diese in zwei Unterteilungen gegliedert. Die erste nennt man avirodhaprīti oder ungezügelte Anhaftung, und die andere heißt virodha-yukta-krodha oder Zorn, der aus Enttäuschung entsteht. Die Hinneigung zur Philosophie der Māyāvādīs, den Glauben an die fruchtbringenden Ergebnisse der karmavādīs und den Glauben an die Pläne, die auf materialistischen Wünschen beruhen, nennt man avirodhaprīti. Jñānīs, karmīs und materialistische Plänemacher ziehen im Allgemeinen die Aufmerksamkeit der bedingten Seelen auf sich, doch wenn die Materialisten ihre Pläne nicht erfüllen können und ihre Vorhaben scheitern, werden sie zornig. Die Enttäuschung materialistischer Wünsche erzeugt Zorn.
Auch die Forderungen des Körpers können in drei Kategorien gegliedert werden – die Forderungen der Zunge, des Magens und der Geschlechtsteile. Man mag zur Kenntnis nehmen, daß diese drei Sinne physisch in einer geraden Linie angeordnet sind, soweit es den Körper betrifft, und daß die körperlichen Forderungen mit der Zunge beginnen. Wenn man die Forderungen der Zunge zu beherrschen vermag, indem man ihre Tätigkeit auf das Essen von prasāda beschränkt, kann der Drang des Magens und der Genitalien von selbst beherrscht werden. In diesem Zusammenhang sagt Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura:
śarīra avidyā jāla, jaḍendriya tāhe kāla,
jīve phele viṣaya-sāgare
tā’ra madhye jihvā ati, lobhamāyā sudurmati,
tā’ke jetā kaṭhina saṁsāre
kṛṣṇa baḍa dayāmaya, karibāre jihvā jaya,
sva-prasāda-anna dila bhāi
sei annāmṛta khāo, rādhā-kṛṣṇa-guṇa gāo,
preme ḍāka caitanya-nitāi
„O Herr! Der materielle Körper ist eine Masse aus Unwissenheit, und die Sinne sind ein Netzwerk von Pfaden, die zum Tode führen. Irgendwie sind wir in das Meer der materiellen Sinnenfreude gefallen, und von allen Sinnen ist die Zunge am unersättlichsten und unbeherrschtesten. Es ist sehr schwer, in dieser Welt die Zunge zu bezwingen, doch Du, lieber Kṛṣṇa, bist sehr gütig zu uns. Du hast uns dieses schöne prasāda gesandt, um uns zu helfen, die Zunge zu besiegen; laßt uns daher dieses prasāda zu unserer vollen Befriedigung zu uns nehmen, Ihre Herrlichkeit Śrī Śrī Rādhā und Kṛṣṇa lobpreisen und Śrī Caitanya und Prabhu Nityānanda in Liebe um Beistand bitten.“
Es gibt sechs verschiedene rasas (Geschmäcker), und wenn man durch einen von diesen in Erregung versetzt wird, gerät man unter die Herrschaft des Dranges der Zunge. Manche Menschen essen gern Fleisch, Fisch, Krabben, Eier und andere Dinge, die durch Samen und Blut erzeugt und in der Form toter Körper gegessen werden. Andere ziehen Gemüse, Salate, Spinat oder Milcherzeugnisse vor, doch immer geht es um die Befriedigung der Forderungen der Zunge. Solches Essen um der Sinnenbefriedigung willen – auch der Gebrauch übermäßiger Mengen von Gewürzen wie Chillie und Tamarinde – muß von Kṛṣṇa-bewußten Personen aufgegeben werden. Der Gebrauch von Betelnüssen in vorbereiteten Betelpfefferblättern, haritakī, einfachen Betelnüssen, verschiedenartigen Gewürzen, die bei der Zubereitung von Betelnüssen in Betelpfefferblättern verwendet werden, Tabak, LSD, Marihuana, Opium, Alkohol, Kaffee und Tee, ist dazu bestimmt, unzulässige Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn wir uns darin üben können, nur Überreste von Speisen anzunehmen, die Kṛṣṇa geopfert wurden, ist es möglich, dem überwältigenden Einfluß māyās zu entkommen. Gemüse, Getreide, Früchte, Milcherzeugnisse und Wasser sind geeignete Speisen, die dem Herrn geopfert werden können, wie Śrī Kṛṣṇa Selbst es vorschreibt. Wenn man jedoch prasāda annimmt, nur weil es gut schmeckt und folglich zu viel ißt, fällt man ebenfalls dem Versuch zum Opfer, die Forderungen der Zunge zu befriedigen.
Śrī Caitanya Mahāprabhu lehrte uns, sogar beim Essen von prasāda allzu wohlschmeckende Speisen zu vermeiden. Wenn wir der Bildgestalt Gottes im Tempel wohlschmeckende Speisen opfern in der Absicht, selbst solch köstliche Speisen zu essen, verwickeln wir uns ebenfalls in den Versuch, die Forderungen der Zunge zu befriedigen. Auch wenn wir die Einladung eines reichen Mannes mit dem Hintergedanken annehmen, dort mit wohlschmeckenden Speisen bewirtet zu werden, versuchen wir, die Forderungen der Zunge zu befriedigen. Im Caitanya-caritāmṛta (Antya 6.227) heißt es:
jihvāra lālase yei iti-uti dhāya
śiśnodara-parāyaṇa kṛṣṇa nāhi pāya
„Derjenige, der hierhin und dorthin läuft, um seinen Gaumen zu befriedigen, und der immerzu den Wünschen seines Magens und seiner Geschlechtsteile nachgibt, vermag Kṛṣṇa nicht zu erreichen.“
Wie zuvor gesagt wurde, sind die Zunge, der Magen und die Genitalien in einer geraden Linie angeordnet und sie gehören alle zur gleichen Kategorie. Śrī Caitanya sagte:
bhāla nā khaibe āra bhāla nā paribe
„Kleide dich nicht verschwenderisch und iß keine köstlichen Speisen.“ (Cc. Antya 6.236)
Diejenigen, die an Magenkrankheiten leiden, müssen also – zumindest nach dieser Analyse – unfähig sein, den Drang des Magens zu beherrschen. Wenn wir mehr als nötig essen, schaffen wir damit gleichzeitig viele Unbequemlichkeiten im Leben. Wenn wir jedoch an Tagen wie Ekādaśī und Janmaṣṭamī fasten, können wir die Forderungen des Magens verringern.
Was den Drang der Geschlechtsteile betrifft, so gibt es zwei Arten des Geschlechtslebens – korrekte und inkorrekte oder erlaubte und unerlaubte Geschlechtsbeziehungen. Wenn ein Mann reif ist, kann er entsprechend den Regeln und Vorschriften der śāstras heiraten und seine Genitalien zur Zeugung guter Kinder benutzen. Dies ist gesetzmäßig und religiös. Andernfalls wird er sich vielleicht vieler künstlicher Mittel bedienen, um die Forderungen der Genitalien zu befriedigen, und er wird unter Umständen keinerlei Schranken kennen. Wenn man sich dem unerlaubten Geschlechtsleben ergibt, wie es von den śāstras definiert wird, indem man entweder daran denkt, in dieser Hinsicht Pläne schmiedet, darüber spricht oder tatsächlich Geschlechtsverkehr ausübt, oder indem man die Genitalien durch künstliche Mittel befriedigt, ist man in der Gewalt māyās gefangen. Diese Unterweisungen betreffen nicht nur Haushälter, sondern auch tyāgīs oder diejenigen, die auf der Lebensstufe der Entsagung stehen. In seinem Buch Prema-vivarta sagt Śrī Jagadānanda Paṇḍita im Siebten Kapitel:
vairāgī bhāi grāmya-kathā nā śunibe kāne
grāmya-vārtā nā kahibe yabe milibe āne
svapane o nā kara bhāi strī-sambhāṣaṇa
gṛhe strī chāḍiyā bhāi āsiyācha vana
yadi cāha praṇaya rākhite gaurāṅgera sane
choṭa haridāsera kathā thāke yena mane
bhāla nā khāibe āra bhāla nā paribe
hṛdayete rādhā-kṛṣṇa sarvadā sevibe
„Mein lieber Bruder, du stehst auf der Lebensstufe der Entsagung und solltest nicht Gesprächen über weltliche Dinge zuhören, noch solltest du über weltliche Dinge sprechen, wenn du dich mit anderen triffst. Du solltest nicht einmal in Träumen an Frauen denken. Du bist in den Lebensstand der Entsagung mit einem Gelübde eingetreten, das es dir verbietet, mit Frauen zusammenzusein. Wenn du Gemeinschaft mit Caitanya Mahāprabhu haben möchtest, mußt du dich stets an den Zwischenfall mit Choṭa Haridāsa erinnern und wie er vom Herrn zurückgewiesen wurde. Iß keine überreichen Speisen und kleide dich nicht in feine Gewänder; bleib vielmehr stets demütig und diene Ihrer Herrlichkeit Śrī Śrī Rādhā-Kṛṣṇa im Innersten deines Herzens.“
Die Schlußfolgerung lautet, daß jemand, der diese sechs Dinge – Sprache, Geist, Zorn, Zunge, Magen und Genitalien – zu beherrschen vermag, svāmī oder gosvāmī genannt werden muß. Svāmī bedeutet „Meister“ und gosvāmī bedeutet „Meister der go oder Sinne“. Wenn man in den Lebensstand der Entsagung eintritt, nimmt man damit gleichzeitig den Titel svāmī an. Dies bedeutet jedoch nicht, daß man der Meister seiner Familie, seiner Gemeinschaft oder Gesellschaft ist; man muß der Meister seiner Sinne sein. Wenn man nicht der Meister seiner Sinne ist, sollte man nicht gosvāmī, sondern godāsa, Diener der Sinne, genannt werden. Alle svāmīs und gosvāmīs sollten den Fußspuren der Sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana folgen und sich voll und ganz im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn betätigen. Im Gegensatz dazu beschäftigen sich die godāsas im Dienst der Sinne oder im Dienst der materiellen Welt. Sie gehen keiner anderen Tätigkeit nach. Prahlāda Mahārāja beschrieb den godāsa als adānta-go, womit jemand gemeint ist, dessen Sinne nicht beherrscht sind. Ein adānta-go kann kein Diener Kṛṣṇas werden. Im Śrīmad-Bhāgavatam (7.5.30) sagte Prahlāda Mahārāja:
matir na kṛṣṇe parataḥ svato vā
mitho ’bhipadyeta gṛha-vratānām
adānta-gobhir viśatāṁ tamisraṁ
punaḥ punaś carvita-carvaṇānām
„Für diejenigen, die sich entschieden haben, ihr Dasein in der materiellen Welt mit dem Ziel der Befriedigung ihrer Sinne fortzusetzen, besteht keine Möglichkeit, Kṛṣṇa-bewußt zu werden – weder durch persönliche Bemühungen noch durch Unterweisungen seitens anderer noch durch gemeinsame Versammlungen. Sie werden von ihren ungezügelten Sinnen in den finstersten Bereich der Unwissenheit gezogen und beschäftigen sich wie irr mit dem, was man ‚das Kauen des bereits Gekauten‘ nennt.“